Der schiefe Raum

Verkehrte Welt: hier kann man bequem mit einem Stuhl an der Wand sitzen, ohne herunterzufallen, Bälle rollen bergauf und Menschen scheinen sich in einer unmöglichen Schieflage zu bewegen…

In diesem Raum trotzt alles der Schwerkraft und scheint ein Eigenleben zu entwickeln – und unser Wahrnehmungssystem spielt mit!

Schiefer Raum GrafikDas Geheimnis des unmöglichen Raumes offenbart sich bereits in seiner Bezeichnung „schiefer Raum“: Betrachtet man die Konstruktion von außen, erkennt man die Neigung des gesamten Raumes in Längs- und Querrichtung. Bei diesem Modell beträgt sie in der Längsrichtung etwa 15°, in der Querrichtung ca. 4°.

Der Schiefe RaumAuf dem Bild ist die Neigung nicht zu erkennen, da die Fotokamera parallel zur Neigung ausgerichtet wurde – ähnlich dem Seheindruck, den eine Person im schiefen Raum hat. Das untere Bild zeigt die Aufnahme bei Ausrichtung auf Null Grad Wasserwaage.

Die Täuschung ist allerdings auf dem Foto stärker als man sie im schiefen Raum selbst wahrnimmt. Schuld daran ist sind unser Gleichgewichtssinn und die Schwerkraft.

Da unser Körper auch durch sie Informationen zur Lage im Raum erhält, werden sie bei der Verarbeitung der visuellen Information berücksichtigt. Der Körper versucht sich zwar stark nach den vertikalen Linien im Raum auszurichten, spürt allerdings auch die Schräge z.B. durch die Fußstellung und das Gleichgewichtsorgan im Ohr.

Daraus ergibt sich eine Kompromisslösung: stellt man der Person im schiefen Raum nach einiger Zeit die Aufgabe, einen Gegenstand waagrecht (Wasserwaage = Null) auszurichten, zeigt sich eine gewisse Anpassung (Adaptation). Die Person unterliegt nicht ganz der Täuschung und richtet den Gegenstand entsprechend der Raumneigung aus, schafft es allerdings auch nicht, exakt die Waagrechte einzustellen.
Wie orientiert sich unser Körper im Raum?

Die Orientierungswahrnehmung ist – wie oben bereits erwähnt – abhängig von mehreren Faktoren.

Ein wichtiger Faktor ist die Fähigkeit, die Richtung der Schwerkraft wahrzunehmen. Möglich ist dies über den Druck des Eigengewichts auf die Füße und andere Körperteile und durch Muskelbewegungen, mit denen man versucht, das Gleichgewicht zu halten.17

Das wichtigste Organ für den Lage- und Drehsinn ist allerdings der Vestibularapparat des Innenohres: Der Schwerereiz wirkt dort auf Haarzellen in den beiden Vorhofsäckchen des häutigen Labyrinths (Utriculus und Sacculus).17 Die Haarschöpfe sind in eine Gallertschicht eingebettet und fungieren hier als Fortsätze der Sinneszellen: je nach Lage des Kopfes verschiebt sich diese Gallertschicht, dadurch werden die Härchen geschert und die Sinneszellen erregt.17 In der darauffolgenden Nervenzelle wird der Grad der Neigung durch die Höhe der Entladungsrate codiert.17

Weitere Faktoren sind die Erfahrung über die Orientierung anderer Gegenstände und Linien im Raum und die Informationen, die unser visuelles System liefert.

I.d.R. stimmen all diese Informationen miteinander überein und vermitteln eine einheitliche Orientierung im Raum; im schiefen Raum allerdings unterscheiden sich zum Teil gravierend. Primär versucht sich eine Person sich parallel zu einer aufrechten Umwelt (i.d.R. ist sie das Bezugssystem) auszurichten – in diesem Fall parallel zu den Senkrechten im Raum.17 Dabei wird durchaus das Risiko des Kippens in Kauf genommen; zumindest tritt ein eigenartiges Gefühl auf.17

Den Konflikt zwischen Schweresinn und visuellem System löst unser Wahrnehmungssystem mit einer gewissen Dominanz der visuellen Information über den Schwere- und Lagesinn; die Raumwahrnehmung basiert also zum Großteil auf den visuellen Informationen.17 Aus diesem (einseitigen) Kompromiss resultiert auch die Adaptation, nach dem man sich eine gewisse Zeit im schiefen Raum aufgehalten hat. Unser visuelles System dominiert ebenfalls über die Erfahrung: eigentlich müsste sich spätestens bei aufwärts rollenden Bällen unsere Wahrnehmung ändern, da dies physikalisch einfach unmöglich ist. Die Dominanz geht so weit, dass man beim Blick durch ein Fenster in die „lotrechte“ Umwelt außerhalb des Raumes der Betrachter meint, dort wäre alles schief.

Aber eben diese Dominanz macht die Faszination eines unmöglichen Raumes aus.

Sollten Sie einmal eine Reise in die USA unternehmen und möchten ein sog. „Anti-gravity house“ besichtigen, finden Sie unter dem Link www.illusionworks.com/html/mystery_spot.html eine Übersicht über einige dieser Häuser in Amerika.

Literaturverweise:
17 Wahrnehmung – I. Rock – 1985

HINWEIS – DIE VIDEOS WERDEN BALD WIEDER EINGESTELLT

Autor: Prof. Dr. Bernd Lingelbach