Die Munker-White-Täuschung

Versuchen Sie doch einmal, die Anzahl der in diesem Bild verwendeten Farben zu zählen! Kommen Sie auf 8 verschiedene Farben? Dann sollten Sie das Bild noch einmal genau betrachten: Dieses Kunstwerk wurde nämlich von einem sehr sparsamen Künstler erstellt (in diesem Fall von Prof. B. Lingelbach).
Tatsächlich wurden lediglich 5 verschiedene Farben verwendet – die anderen Farben entstehen durch unser Wahrnehmungssystem!

Unser WahrnehmungssystemMunkler-White- Täuschung ist so organisiert, dass es den Farbeindruck eines Objektes immer zu seiner Umgebung in Beziehung setzt – d.h. ein und derselbe Farbton erscheint uns (abhängig von der Farbe der Umgebung) unterschiedlich.

Dabei gibt es zwei verschiedene Mechanismen: Im ersten Fall verstärkt unser visuelles System den Kontrast zwischen Objekt und Umfeld; zum Beispiel wird ein helles Objekt auf einem dunklen Hintergrund noch heller wahrgenommen, als es tatsächlich ist.

Im zweiten Fall gleicht das Wahrnehmungssystem das Objekt seiner Umgebung an; zum Beispiel wirkt dadurch ein helles Objekt auf einem dunklen Hintergrund dunkler als es tatsächlich ist. Dieser Vorgang wird auch als Assimilation bezeichnet.

Wann welcher Effekt auftritt, lässt sich nur schwer vorhersagen. Eine Theorie geht davon aus, dass die Kontrastverstärkung hauptsächlich bei größeren Flächen, Assimilation hingegen bei kleineren Flächen auftritt.16 Beide Mechanismen ermöglichen uns, für die Objektwahrnehmung notwendige Kontraste zu verstärken und macht Farberkennung auch bei veränderten Beleuchtungssituationen möglich (Farbkonstanz).

Bei der Munker-White-Täuschung treten beide Mechanismen auf: Betrachtet man die abgebildeten Figuren genauer, stellt man fest, dass sie jeweils von gelben oder blauen Streifen durchzogen sind. Die horizontale Ausdehnung eines Streifens in einer Figur ist durchaus größer als die vertikale Ausdehnung, d.h. hier ist eigentlich nach der oben genannten Theorie eine Kontrastverstärkung zu erwarten – allerdings kommt es hier zur Assimilation, während an den kurzen Kanten Kontrastverstärkung auftritt.

Am Beispiel des oberen Mondes verhält sich dies folgendermaßen: die Figur befindet sich auf einem gelben Hintergrund und wird von blauen Streifen durchzogen. Die Grundfarbe des Mondes wird von unserem Wahrnehmungssystem den blauen Streifen angeglichen (Assimilation), der Rotton wirkt dadurch bläulicher. Durch Kontrastverstärkung zum gelben Hintergrund wird dies noch verstärkt, die Figur wirkt noch dunkler, hebt sich noch besser vom Hintergrund ab.

Für den unteren Mond wurde exakt dieselbe Grundfarbe verwendet, allerdings ist die Figur von gelben Streifen durchzogen; dadurch erscheint uns die Grundfarbe heller, der Rotton geht eher in Richtung Orange. Durch den dunkleren Hintergrund (blau) entsteht wiederum ein Kontrast, der Mond erscheint noch heller.

Bei unserem Ausstellungsobjekt kann man die beiden Effekte mittels eines Elektroantriebes umkehren: die Figuren verschieben sich so, dass ein vorher mit blauen Streifen durchzogenes Objekt dann mit gelben Streifen durchzogen ist.

Diese Effekte sind natürlich nicht nur bei farbigen Objekten, sondern auch bei grauen Objekten zu beobachten. In diesem Fall wird die Helligkeit (Graustufe) anders wahrgenommen.

Welchen Sinn haben derartige Phänomene der visuellen Wahrnehmung?

Wie oben bereits erwähnt, ist durch die Kontrastverstärkung eine verbesserte Kantenwahrnehmung möglich, die bei der Objektwahrnehmung und -erkennung eine große Rolle spielt. Durch Assimilationseffekte hingegen werden Kanten abgeschwächt, die für die Objektwahrnehmung keine Rolle spielen und somit diesen Vorgang nur erschweren würden.

Dies hängt vor allem mit der Organisation des visuellen Systems zusammen: Für jede Ganglienzelle des Nervus Opticus existiert ein bestimmter Netzhautbereich – das rezeptive Feld dieser Zelle – durch die das Neuron erregt oder gehemmt werden kann.

Das rezeptive Feld selbst entsteht durch Verschaltungen der Rezeptoren eines bestimmten Netzhautareals über die sog. Assoziationszellen – Horizontalzellen, Amakrinzellen und interplexiformen Zellen. Durch die verschiedenen Verschaltungsmöglichkeiten ergeben sich unterschiedliche Strukturen rezeptiver Felder: Bei sog. ON-Zentrum-Neuronen verursacht eine Belichtung im Zentrum des rezeptiven Feldes Erregung, in der Peripherie des Feldes dagegen Hemmung; bei den sog. OFF-Zentrum-Neuronen verhält es sich genau umgekehrt: eine Belichtung im Zentrum wirkt hemmend, während bei Belichtung der Peripherie Erregung resultiert. Für beide Arten gilt: werden beide Bereiche gleichzeitig angesprochen, findet eine Verrechnung der Erregung / Hemmung statt. Wird das gesamte rezeptive Feld gleich-artig gereizt – wie z.B. beim Blick auf eine einfarbige, homogene Fläche – reagiert das zuständige Neuron nur mit einer schwachen Erhöhung der Signalfrequenz oder gar nicht auf den dargebotenen Reiz.

Farbkontrastgrenzen oder Leuchtdichteunterschiede sind darum notwendig, um eine Reaktion der verantwortlichen Neurone in höheren Verarbeitungsstufen hervorzurufen. Durch die Mechanismen der Kontrastverstärkung und der Assimilation wird eine Selektion relevanter Grenzen und Konturen vorgenommen, um eine wirtschaftlichere Verarbeitung der visuellen Reize zu ermöglichen.

Die Berücksichtigung der Umwelt bei der Farbwahrnehmung ist außerdem für das Phänomen der Farbkonstanz verantwortlich: Wir sind in der Lage, eine Farbe unabhängig von der Beleuchtung auch als solche zu erkennen (z.B. als Rot zu erkennen); d.h. selbst bei relativ großen Verschiebungen der spektralen Zusammensetzung des Lichtes erscheinen die Objekte durch Vergleich mit dem Umfeld konstant in derselben Farbe. Natürlich funktioniert dies nicht bei monochromatischem Licht.

Auch die chromatische Adaptation (Farbstimmung) ist zum Teil auf die Verrechnung des Farbeindrucks eines Objektes mit dem Umfeld zurückzuführen: Nach einer gewissen Zeit passt sich das Auge dem Farbniveau der Umgebung an (Beispiel: Sonnenbrille). Da i.d.R. bei derartigen Farbfiltern nicht alle Zapfenarten im gleichen Maße gereizt werden, kommt es nach Entfernung des Farbfilters zu einer Art Nachbildeffekt, die Umgebung erscheint dadurch „leicht getönt“ in der Komplementärfarbe des Filters. Vermutlich sind auch höhere Ebenen der visuellen Signalverarbeitung an diesem Phänomen beteiligt, da auch hier Farbkonstanz nachweisbar ist.11

Literaturverweise:
11 Optik – Bergmann/Schäfer – 1993
16 Macht schwarz schlank? – J. Ninio – 1999
Autor: Prof. Dr. Bernd Lingelbach