Der Necker-Würfel

Der nur aus 12 Kanten bestehende Würfel macht es dem Betrachter nicht einfach, seine Lage im Raum zu beschreiben

Betrachtet man den Punkt A, so scheint der Würfel von links unten nach rechts hinten in die Ebene zu verlaufen. Betrachtet man hingegen den Punkt B, so sieht es aus, als ob der Würfel von rechts oben nach links hinten verläuft.

Hat man beide Varianten einmal erfasst, kann das „Umspringen“ (perzeptive Inversion)27 der Wahrnehmung auch bewusst hervorgerufen werden.

Der Neckar-Würfel Wahrnehmung

Diese Mehrdeutigkeit, die auch als Ambiguität bezeichnet wird, resultiert aus dem Fehlen von Tiefenmerkmalen wie Schatten, Verdeckungen, Oberflächenstrukturen und Anhaltspunkten für die Lage im Raum, die bei einem Würfel mit sechs Flächen vorhanden sind.

Bei der gezeichneten Variante fehlt außerdem das Annähern (Konvergenz) der in die Tiefe verlaufenden Linien (= sog. Parallelperspektive), was einen weiteren Anhaltspunkt für die Lage der Linien liefern würde.

In beiden Fällen entsteht auf der Netzhaut dasselbe Bild, das vom Gehirn auf zwei verschiedene Arten interpretiert wird, da unter diesen Bedingungen beide Varianten möglich erscheinen.

Lässt man den Neckerwürfel nun wie bei diesem Modell um die eigene Achse rotieren, stellt man fest, dass sich – vor allem bei Betrachtung mit einem Auge – plötzlich die Drehrichtung ändert. Dies hängt damit zusammen, dass für das Wahrnehmungssystem nicht eindeutig erkennbar ist, welche Kanten im Vordergrund bzw. im Hintergrund verlaufen

Der Neckar-Würfel Rotation vordere KanteDer Neckar-Würfel Rotation hintere Kante
Während bei beidäugiger Betrachtung das räumliche Sehen noch Anhaltspunkte für die Lage der Kanten liefert, fallen diese bei Betrachtung mit einem Auge weg, wodurch die Umkehrung der Drehrichtung leichter wahrnehmbar ist.28

Wird der rotierende Neckerwürfel mit einem Auge (monokular) aus geringer Entfernung betrachtet, ergibt sich zusätzlich zur Umkehrung (Inversion) der Drehrichtung eine Verzerrung – verursacht durch die perspektivische Verkürzung, die sich in der Nähe stärker bemerkbar macht.28

Schriftlich erwähnt wurden die Eigenschaften dieses Würfels erstmals 1832 von L. A. Necker, nach dem die Figur später benannt wurde.

Eng verwandt mit dem rotierenden Neckerwürfel ist das sog. Ames-Fenster (siehe unten): Schaltet man hier das Stereosehen durch Schließen eines Auges aus, scheint sich das Fenster nicht mehr zu drehen, sondern hin- und herzupendeln
Was genau ist die Ursache für diese Erscheinung?

Als Ursache für die Ambiguität werden verschiedene Theorien diskutiert.

Eine dieser Theorien, die v.a. von Köhler weiterentwickelt wurde, ist die sog. „Sättigungs- oder Ermüdungstheorie“.17

Diese geht davon aus, dass bei andauernder Darbietung eines Reizes die Nervenaktivität im Laufe der Reizdauer abnimmt, bis schließlich durch die betreffenden Nervenzellen keine Erregung mehr vermittelt wird.17 Diese Art „Adaptation“ ebnet dadurch den Weg für die alternative Wahrnehmung, die als Umkehrung der Bedeutung des Reizes wahrgenommen wird.17

Gegen diese Theorie spricht allerdings, dass keine Umkehrung stattfindet, wenn die Zweideutigkeit des Bildes nicht erkannt wurde. Auch das bewusste Umkehren der Bedeutung kann damit nicht eindeutig erklärt werden. 17

Eine andere Theorie von Rock basiert auf der Grundlage, dass sich die Wahrnehmung zunächst nach einem bestimmten Prinzip organisiert – was durchaus durch Zufall bestimmt sein kann – und der Beobachter bei dieser Organisation bleibt, solange es keinen Grund zur Umorganisation gibt. 17

Ein solcher Grund kann der Hinweis auf die Zweideutigkeit oder auch eine Art „psychologische Sättigung“ sein (Reiz erscheint nach gewisser Zeit langweilig, was ein „Weitersuchen“ hervorruft). 17
Literaturverweise:
17 Wahrnehmung – I. Rock – 1985
27 Das verzauberte Auge – B. Ernst – 1998
28 Monokulare optische Täuschungen – U. Gössel – 1999

Autor: Prof. Dr. Bernd Lingelbach