Der Beuchet-Stuhl

David und Goliath – oder trügt der Schein?

Beuchet-StuhlWas vom Beobachterpunkt aus kaum zu erkennen ist: der Beuchet-Stuhl besteht aus zwei Teilen, nämlich aus einem Untergestell und einer Sitzfläche mit Lehne.

Betrachtet man die Anordnung von der Seite, fällt sofort auf, dass die beiden Elemente nicht im selben Maßstab gefertigt wurden – das Untergestell ist kleiner als die Sitzfläche. Außerdem sind die Stuhlbeine unterschiedlich hoch, da man bei einem echten Stuhl durch die Verdeckung durch die Sitzfläche auch nicht alle Stuhlbeine in ihrer vollen Größe sehen kann. Die oberen Enden wurden entsprechend den realistischen Verhältnissen abgeändert.

Der Trick der Täuschung besteht nun darin, die beiden Teile so hintereinander anzuordnen, dass für einen bestimmten Beobachterpunkt beide unter demselben Sehwinkel und als ein zusammenhängendes Objekt erscheinen. Wie das funktioniert, ist in der unteren Skizze dargestellt.

Dies ist übrigens dasselbe Prinzip, wie wenn man mit dem Daumen z.B. den schiefen Turm von Pisa anpeilt und beide gleich groß erscheinen – der Daumen und der Turm werden dann auch unter demselben Winkel wahrgenommen.

Durch die größere Entfernung erscheint die Sitzfläche ebenso groß wie das nahe Grundgestell des Stuhles; setzt sich nun eine Person auf die Sitzfläche, wird sie durch die größere Entfernung ebenfalls kleiner wahrgenommen, während eine Person neben dem Untergestell aufgrund der geringeren Entfernung natürlich größer aussieht.

Durch das nahe Grundgestell hat der Beobachter den Eindruck, der Stuhl befindet sich in der Nähe. Da durch die sitzende Person ein kleines Netzhautbild entsteht, unsere Wahrnehmung aber eine geringe Entfernung annimmt, folgert das Gehirn daraus: geringe Entfernung + kleines Bild des Objektes = muss ein kleines Objekt sein!

Dadurch wird die Täuschung zusätzlich verstärkt.

 

Wie viel Einfluss hat die Wahrnehmung auf diese Täuschung?

Man könnte meinen, die Täuschung kommt ausschließlich aus optisch-mathematischen Gründen zustande und die Größenverhältnisse der beiden Teilelemente lassen sich aufgrund der Entfernung bzw. umgekehrt einfach berechnen .

Der Faktor der Größenkonstanz kann allerdings nicht miteinberechnet werden: dieser Mechanismus, sorgt normalerweise dafür, dass Objekte in einem bestimmten Entfernungsbereich konstant groß erscheinen. Dazu wird die wahrgenommene Entfernung mit der Netzhautbildgröße verrechnet. Wird das Netzhautbild kleiner, weil sich das Objekt entfernt, wird die Verkleinerung ausgeglichen, weil das Gehirn um die vergrößerte Entfernung weiß und sie somit bei der wahrgenommenen Größe berücksichtigt.

Durch das Phänomen der Größenkonstanz erscheint die Sitzfläche für die berechnete Entfernung etwas zu groß und muss daher in etwas größerer Entfernung positioniert werden; sie kann natürlich auch geringfügig kleiner gefertigt werden, was allerdings schwieriger zu realisieren ist.

Auf die Person, die dann auf der Sitzfläche sitzt, hat die Größenkonstanz ebenfalls Auswirkungen: sie kann Täuschungen verstärken oder sogar hervorrufen; dieser Sachverhalt wird am besten durch die oben beschriebene Gleichung klar. Da das Netzhautbild der sitzenden Person im Verhältnis zur wahrgenommenen Entfernung klein ist, wird sie folglich als kleine Person interpretiert. Die Größe der Sitzfläche hingegen erscheint dem Wahrnehmungssystem angemessen groß.

Für das Foto stimmen allerdings die Entfernungen mit den berechneten Werten überein, da das auf dem Film aufgezeichnete Bild den Effekt der Größenkonstanz nicht vermitteln kann (denn die Wahrnehmung beeinflusst nur den Beobachter, nicht die Kamera)

 

Autor: Prof. Dr. Bernd Lingelbach